Buch: Die Kunst der Reparatur. Ein Essay

Erscheinungsjahr

2020

Organisation / AutorInnen

Wolfgang Schmidbauer

Kurzbeschreibung

Wolfgang Schmidbauer ist Psychologe und Autor zahlreicher Sach- und Fachbücher. Bereits in den 1970er Jahren kritisierte er in „Homo consumens. Der Kult des Überflusses“ (1972) die Konsumgesellschaft aus ökologisch-psychologischer Sicht. Sein neuestes Werk, das knapp 200 Seiten starke Buch „Die Kunst der Reparatur“ (im März 2020 im oekom Verlag erschienen) ist ein lebendiges Plädoyer für die Wertschätzung von Dingen und die Pflege der Beziehung mit ihnen durch Wartung und Reparatur – und die positiven Auswirkungen dieser Praxis auf die eigene Psyche.

Der Mensch hat sich daran gewöhnt, kaputte Dinge rasch durch neue auszutauschen. Mehr noch – heute ist der frühzeitige Austausch von noch funktionsfähigen Dingen, noch bevor sie kaputt gehen, eine weit verbreitete Standardstrategie, um den Moment des Zusammenbruchs gänzlich zu vermeiden. Denn die hohe Komplexität vieler unserer Alltagsgegenstände (wie Laptops oder Smartphones) oder auch Infrastrukturelemente stellt uns bei Funktionsstörungen vor oft unlösbare Probleme. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt uns, dass dies eine relativ junge Erscheinung der Konsumgesellschaft ist. Schmidbauer bringt einige historische Beispiele von Reparaturen und stellt die japanische Technik Kintsugi vor, mit der zerbrochene Keramikschalen repariert und die gekittete Stelle mit Goldstaub verziert wird. Somit wird dem reparierten Gefäß besondere Würde eingehaucht.

Er zeichnet Parallelen zwischen dem Leben der Menschen und dem eines Gegenstandes und zieht einen Vergleich zum menschlichen Körper, deren „Wiederherstellung“ durch Operationen eine Selbstverständlichkeit ist. Diskutabel ist allerdings seine Sicht von Geschlechtsumwandlungen als verfehlte Reparaturen eines Körpers, der zuvor ganz war – doch ist hier nicht der Ort dafür.

Durchaus erfrischend liest sich jedoch der Großteil von Schmidbauers Essay – er ermutigt die LeserInnen, Störmomenten (wie einem kaputten Regenschirm, dem abgebrochenen Griff eines Topfdeckels) realistisch statt perfektionistisch zu begegnen und sie mit kreativen Ansätzen und Ideen zu lösen. Der meist negativ besetzte Begriff „Pfusch“ wird von ihm positiv gemünzt:

„Aber ich sehe in der Lizenz zum Pfuschen eine kostbare psychische Qualität. Je mehr wir sie durch Perfektionismus schwächen, desto kälter wird die Welt.“ (S.112)

Mit zahlreichen Beispielen aus seiner persönlichen Lebensgeschichte – viele davon aus der Zeit einer Hausrenovierung in Italien – bringt er den LeserInnen die Freude an der schöpferischen Fehlerbehebung, am Tüfteln und Ausprobieren, was funktionieren könnte, nahe. Ein freigeistiges Learning by doing ist seine Devise, und es wird deutlich, dass die Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit viele unterschiedliche Wege gehen kann, während Perfektion oft kontraproduktiv ist. Für Schmidbauer tragen reparierte Gegenstände oft eine besondere Würde in sich, da sie sich durch die Pflege und Aufmerksamkeit, die ihnen zugekommen ist, von perfekter Stangenware unterscheiden. Schmidbauer ermutigt die LeserInnen, ausgebesserte und wiederhergestellte Dinge mit ebendieser Würde und mit Stolz zu betrachten und zu tragen.

Vor dem Hintergrund unseres rasant steigenden Ressourcenverbrauchs, dessen Problematik Recycling niemals lösen kann, wird die oft stiefmüttlerlich behandelte Reparatur zu einer unbedingten Notwendigkeit:

„Wir haben unterbeschäftigte und untergeschickte Hände im Überfluss, nur die Rohstoffe sind begrenzt, und Recycling ist meistens eine halbe Wahrheit, wenn nicht eine ganze Lüge.“ (S.99)

Der Autor ruft dazu auf, die Neugier und Fähigkeit zur Reparatur bereits im Kindesalter zu fördern – somit sollten allerdings auch von Kindern benutzte Gegenstände, wie Kinderfahrräder, so konstruiert sein, dass sie von Kindern selbst repariert werden können.

Was politische Entwicklungen betrifft, so schreibt er: „Es fehlt beispielsweise jeder Ansatz zu einer Pflicht, Geräte reparierbar zu konstruieren und Ersatzteile vorzuhalten.“ Dem ist jedoch hinzuzufügen, dass es durchaus (wenn auch oftmals zähe) Bewegung auf politischer Ebene gibt – etwa die neuen Ökodesign-Regelungen, die ab 2021 in den EU-Mitgliedsstaaten gelten. Dass hier noch viel mehr passieren muss, ist natürlich erstrebenswert und ein zentrales Lobbyingziel von RepaNet, für das wir uns gemeinsam mit RREUSE und der „Right to Repair“-Koalition einsetzen.

Eine grundlegende Änderung unseres Konsumverhaltens erachtet Schmidbauer nur dann als möglich, wenn wir unser Verständnis von Glück hinterfragen. Denn obwohl die Suche nach Befriedigung heute meist an die Verschwendung von Rohstoffen geknüpft ist, ist dies eine Illusion. Die negative Darstellung von Verzicht ist irreführend, es gilt hier umzudenken:

„Dabei geht es darum, die Breitenverschwendung, die nicht lustvoll erlebt wird, in Spitzenbefriedigung zu verwandeln, weil das Gute wirklich gut ist und nicht nur eine Imitation des Guten aus billigen Ersatzstoffen.“ (S.175)

Wir verstehen diese Aussage als Plädoyer für gute, langlebige und reparierbare Produkte, gekoppelt mit dem Aufbau einer bewussten, achtsamen Beziehung zu diesen. So können wir mit minimalem Ressoruceneinsatz ein möglichst hohes Level an Glück und Wohlstand für alle schaffen.

Keywords/Tags:

Reparatur, Reparieren, DIY, Reparaturkultur, Reparierfähigkeit, Denkanstoß, Konsumgesellschaft, Konsum, Produktlebensdauer, Produktlebensdauerverlängerung

Downloads/Link:

Wolfgang Schmidbauer: Die Kunst der Reparatur, oekom Verlag: 2020. (Verkaufspreis in Österreich € 20,60,-)

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