V.l.: Martine Postma (Stichting Repair Café), Dr.in Andrea Hohenwarter (Bewohnerservice Stadt Salzburg), Prof. Dr. Niko Paech (Universität Siegen), Sepp Eisenriegler (RepaNet/R.U.S.Z), LAbg. Josef Scheinast, Christian Reisinger (Bewohnerservice Stadt Salzburg)

Ende September wurde in Salzburg über die revolutionären Aspekte von Reparatur philosophiert. Niko Paech führte die BesucherInnen der Leopold Kohr Summer School durch die „Welt der Reparatur“. Inputs gab es von Repair-Café-Gründerin Martine Postma, RepaNet-Vorsitzendem und R.U.S.Z-Geschäftsführer Sepp Eisenriegler sowie Andrea Hohenwarter und Christian Reisinger vom Bewohnerservice der Stadt Salzburg.

Die Leopold Kohr Akademie will mit ihren Veranstaltungen Menschen dort abholen, wo sie sind und in lockerem, ideologiefreiem Rahmen Austausch anregen. Ende September lud man ins Augustiner Bräu (Kloster Mülln) in Salzburg – um dort die Praxis der Reparatur zu thematisieren. RepaNet war an dem Abend auch mit dabei – und hier wollen wir einen Überblick über die spannenden Vorträge und Diskussionen bringen.

Kreislaufwirtschaft zentral um vorhandenes Material zu nutzen

Die Einführung von Wachstumskritiker Niko Paech war sehr inspirierend. Er erinnerte das Publikum daran, dass die Wegwerfgesellschaft ein höchst junges Phänomen ist. Während früher Gegenstände mit Gebrauchsspuren als wertvoller angesehen wurden als neue Produkte, hat sich dieses Verhältnis in den letzten Jahrzehnten umgekehrt. Heute befindet sich auf der Erdoberfläche mehr Material als unter der Erde – somit müssen wir uns durch Praktiken der Kreislaufwirtschaft dieses Material wieder aneignen; das bedeutet, es etwa durch Urban Mining und Reparatur im Kreislauf zu behalten. Reparatur ist demnach ein politischer Akt, weil sie sich dem verbreiteten Konsum- und Wegwerfwahn entzieht.

RepaNet-Vorsitzender und R.U.S.Z-Geschäftsführer Sepp Eisenriegler brachte dann einige Fakten und auch nützliche Tipps zum Thema Verlängerung der Produktnutzungsdauer vor – und stellte häufige Praktiken der Herstellerindustrie vor, diese zu verhindern. Er stellte auch die grundlegende Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, Produktdienstleistungen zu konsumieren, anstatt Produkte ins Eigentum übergehen zu lassen. Abgesehen davon, dass wir dann insgesamt weniger Gegenstände brauchen würden, wären die Hersteller so gezwungen, langlebige, leicht und kostengünstig reparierbare und Re-Use-fähige Produkte in Umlauf zu bringen.

Andrea Hohenwarter (oben li.), das Podium (oben re.), Sepp Eisenriegler (unten li.) und Niko Paech (unten re.).

Stadt Salzburg als Paradebeispiel

In Österreich war die Stadt Salzburg Vorreiter in Sachen Repair Café. Andrea Hohenwarten und Christian Reisinger vom Bewohnerservice der Stadt Salzburg erzählten von der Entwicklung und Etablierung des Konzeptes. Im Juni 2013 gab es das erste Repair Café in der Stadt. Seitdem wurden 24 mobile Repair Cafés mit ca. 3.600 BesucherInnen abgehalten, sowie 76 stationäre Repair Cafés mit ca. 2.000 BesucherInnen. Es wurden ca. 6.900 Gegenstände hingebracht und bei 60% davon gelang auch die Reparatur. Eine Erfolgsgeschichte, die vor allem dank des intensiven Einsatzes der Stadt sowie der an die 60 ehrenamtlichen ReparateurInnen in Salzburg längst ein Fixpunkt ist und mittlerweile auch österreichweit ihre Fortsetzung findet. RepaNet schätzt die bundesweite Anzahl an Initiativen auf 150 – mehr dazu in unserem Tätigkeitsbericht 2018.

Martine Postma – die „Päpstin der Repair Cafés“

Ein besonderer Höhepunkt des Abends im Augustiner Bräu war der Vortrag von Martine Postma. Die Gründerin des weltweit ersten Repair Cafés in den Niederlanden kann auf 10 Jahre intensives Engagement für die zivilgesellschaftliche Reparaturbewegung zurückblicken. Zu Beginn war Reparieren alles andere als populär. Es wurde als schwierig, teuer, schmutzig und langweilig angesehen. Die eigene, im Gegensatz dazu sehr positive, Erfahrung Postmas inspirierte sie jedoch dazu, mit einem sogenannten Repair Café in Amsterdam erstmals einen Treffpunkt zu schaffen, wo gemeinschaftliches Reparieren geübt werden kann. Das Konzept ging auf, und durch die Gründung der Stiftung Repair Café gelang es sehr gut, neue Initiativen in der Gründung zu unterstützen – etwa mit ihrem Handbuch – unter ihr Dach zu bringen. Es zeigte sich auch, dass der Bedarf an Elektroreparaturen besonders hoch war – auf Platz 1 liegt dabei die Kaffeemaschine. Mittlerweile gibt es fast 2.000 der Stiftung zugehörige Gruppen in 35 Ländern, neben Europa etwa auch in den USA, Asien und Australien. Mit dem Repair Monitor werden Daten zu Reparaturen gesammelt – jede Initiative ist eingeladen, hier ihre Daten einzutragen! Pro Monat und Initiatve können so im Schnitt 25 Reparaturen verzeichnet werden, davon verlaufen 18 erfolgreich. Insgesamt sind das – unter dem Dach der Stiftung – 34.000 Gegenstände pro Monat bzw. 408.000 pro Jahr. Eine beeindruckende Summe.

Reparaturkultur als Teil einer sozialökologischen Bewegung

Neben dem ökologischen Erfolg ist Reparatur stets auch ein persönlicher – denn, wie Postma betonte, eine gelungene Reparatur gibt uns ein gutes Gefühl. Reparieren ist mehr als bloßes Zerlegen und Zusammensetzen von Dingen – es ist Empowerment der KonsumentInnen, die mehr über ihre Alltagsgegenstände und deren Funktionsweise erfahren und auf diesem Wege wieder selbst über die eigenen Konsummuster bestimmen.

Bei der an die Vorträge anschließenden Podiumsdiskussion, an dem neben den Vortragenden auch LAbg. und Sprecher der Grünen Wirtschaft Josef Scheinast teilnahm, beteiligte sich das Publium rege. Viele Engagierte und „SchrauberInnen“ warfen Bemerkungen, Gedanken und fachspezifischen Fragen ein. Angesprochen wurde unter anderem die Einführung eines Labels für reparaturfreundliche Produkte, steuerliche Begünstigungen für Reparatur, die Haftungsfrage und die Beschaffung von Ersatzteilen. Dass Bildung hochrelevant ist, um künftige Reparaturkultur zu fördern, wurde von allen Anwesenden bestätigt. RepaNet selbst ist aus diesem Grund am Projekt „let’sFIXit“ beteiligt, dass mittels eines pädagogischen Konzeptes Reparatur an die Schulen bringt.

Deutlich wurde an dem Abend, dass Reparatur ein wichtiger Teil ist, um unsere Gesellschaft in eine nachhaltige Richtung zu lenken – dass es aber insgesamt ein Zusammenspielen auf sämtlichen Ebenen inklusive Politik und Wirtschaft braucht sowie ein Netzwerk mit weiteren engagierten Initiativen in anderen Bereichen – damit wir eine Chance haben, um Klimaschutz tatsächlich umzusetzen.

Mehr Infos …

Rückblick auf der Website der Leopold Kohr Akademie – inkusive Videorückblick

Details zum Programm

Stadt Salzburg: Termine Repair Cafés 2019

Homepage der Stiftung Repair Café

Link zum Repair Monitor der Stichting Repair Café

Video-Kurzbeitrag über die Leopold Kohr Summer School auf ORF Salzburg

Videobeitrag von RTS Salzburg Regionalfernsehen